Mitteilung über neue Ermittlungsergebnisse
Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft werden nicht nur vor einer Gerichtsverhandlung zusammengetragen, sondern auch während eines Verfahrens gesammelt. Ein Rechtsanwalt wird in der Regel im Rahmen einer frühzeitigen Akteneinsicht seinen Mandanten über eben diese Ermittlungsergebnisse aufklären. Nur so kann man sich schließlich vollumfänglich auf ein Strafverfahren vorbereiten.
Was passiert aber, wenn bestimmte Ermittlungsergebnisse später bekannt werden (etwa zwischen dem Eröffnungsbeschluss und der Hauptverhandlung)? Besteht eine Verpflichtung für das Gericht, dem Angeklagten und seinen Verteidiger darüber zu informieren?
Bundesgerichtshof sagt: Ja, natürlich!
Manchmal traut man als Verteidiger seinen Ohren nicht. Das Gericht plaudert nach dem Urteil aus dem Nähkästchen, dass man die neu gewonnenen Erkenntnisse ja gar nicht gebraucht hätte, die Verurteilung des Angeklagten konnte auch mit den vorhandenen Erkenntnissen vorgenommen werden…aber wie war das nochmal mit dem Fair-Trial-Grundsatz? Da war doch was…?
Gebot der Waffengeleichheit
So geht das nicht, sagt der Bundesgerichtshof nach der erfolgreichen Revision des Angeklagten und seiner Verteidigung. Neue Ermittlungsergebnisse müssen stets auch dem Angeklagten und seinem Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden.
Zum Verfahrensablauf
Der 1. Strafsenat hat das Urteil aufgehoben, da das Vorgehen des Landgerichts den Revisionsführer in seinen Rechten aus Art. 6 EMRK in Verbindung mit § 147 StPO verletzt hat. Für das Gericht hätte sich aus dem Gebot der Verfahrensfairness die Pflicht ergeben, dem Angeklagten und seinem Verteidiger durch eine Mitteilung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu verschaffen, wenn im Verlaufe des Verfahrens weitere Ermittlungsergebnisse bekannt geworden sind. Selbst dann gilt diese Regelung, wenn die neuen Ermittlungsergebnisse nicht für entscheidungserheblich gehalten wurden.
Die Verfahrensbeteiligten (also auch der Angeklagte uns sein Verteidiger) müssen selbst darüber entscheiden können, ob das neue Material verfahrensrelevant ist, oder nicht.
Fazit
Der Fair-Trial-Grundsatz wird immer müde belächelt und in der regel als letzter verzweifelter Versuch der Verteidigung gewertet. Doch weit gefehlt, wie die Entscheidung des 1. Strafsenates zeigt. Das Gebot der Waffengleichheit ist ernst zu nehmen und nicht bloß als eine dahergelaufene Floskel zu verstehen. Auch wenn es komisch erscheinen mag, ein Gericht an eben diese Grundsätze zu erinnern, muss der Rechtsanwalt darauf aufpassen, dass die Grundsätze eines fairen Verfahrens eingehalten werden.
BGH, Beschluss vom 10.05.2017 – 1 StR 145/17